Am 18ten Mai, 2005, haette mein Vater seinen 100sten
Geburtstag gefeiert. Ihm wurde aber nur etwa die Haelfte dieser Lebensdauer
gegoennt: Zeisl starb 18ter Februar, 1959, im Alter von 53 Jahren. Ich
war damals 18.
Obowhl mit 33 Jahren von seinem geliebten Oesterreich
entwurzelt, Zeisl hoerte nie auf, seine Heimat zu lieben, eine Liebesaffaere,
die Zeit seines Lebens unerwidert blieb. Er haette sicher, wie Hilde Spiel
so schoen ueber dieses Verhaeltnisses zu Oesterreich schrieb, sich dasselbe
gedacht, und ich zitiere: "Ich habe die Haelfte meines Lebens nicht in
meinem Vaterland verbracht, …aber ich will nirgends anders zur Welt gekommen
sein, will diesen Begriff mit mir tragen, will in dieses Oesterreich eingehuellt
sein, wo immer und wie lange ich auch bin." Daher ist heute ein sehr aufregender
Tag fuer mich: denn mein Vater hat mit dieser Ausstellung - mit dieser
Interesse von DR. BERNHARD DENSCHER und JULIAN SCHUTTING, die vor etwa
8 Jahren gesagt haben, den Zeisl muss man zurueck nach Wien holen, mit
der Hingabe DR. KARL WEINBERGERS, und den Kuratoren MICHAEL HAAS, der als
Erster, durch die Cd-produktion von Zeisls Requiem Ebraico, Interesse
in Zeisls Musik erweckt hat, mit der weiteren und grossen
Hingabe DR. WERNER HANAKS, DR. KARIN WAGNERS, und auch Dr. HEINDLS und
Dr. PACHOVSKYS bei DOBLINGER, sowie DR. PRIMAVERA GRUBERS mit dem Orpheus
Trust der Erinnerung (die ich schon alle, ich hoffe, als Freunde bezeichnen
darf) - seinen traurigen und weit-weg fuerhenden Weg zurueck in die Stadt
seiner Geburt, die er so heiss geliebt hat, endlich gefunden.
Zurueckblickend erinnere ich mich, dass, wenn immer
wir einen Ausflug machten, und die machten wir jeden Sonntag, und ich von
einer Wiese voll Klee oder einem braungebackenen Huegel, den ich erklimmen
wollte, schwaermte, korrigierte mein Vater meine Linse, und sagte mir,
"Aber Barbara, das sind ja keine Wiesen. Das ist ja kein Berg. Die gibt
es nur in Oesterreich"!
Wie dieser Ur-Wiener gelitten haben muss, dass er
den oesterreichen Boden entrissen werden musste, im vollsten Sinn dieses
Wortes, da er fliehen musste und in eine Art Wueste, wo das Klima in vergleich
zu Oesterreich immer heiss war, sich versetzen musste. Wie besonders schwer
fuer ihn, fuer jemand, der eine Allergie gegen die Sonne hatte, der immer
lange Aermel und breite Hueter als Beschuetzung tragen musste, selbst in
Wien, wo er nie ohne Hut und sogar mit Sonnenschirm zum Ausgehen gezwungen
war! BILD in der Ausstellung beschreiben
Die adoptierte, amerikanische Aussenwelt meines
Vaters blieb ihm wesentlich fremd, wie er dem Musikkritiker der Los Angeles
Times, Albert Goldberg fuer seinen Artikel von 1950, "The Transplanted
Composer" zurueckschrieb, auf dessen Frage, ob Zeisls Musik sich geaendert
habe, seitdem er nach Amerika gekommen sei, antwortend: "I was a finished
product of the old world, I could not change that even if I wanted to…."
(Ich war ein fertiges Erzeugnis der alten Welt; ich koennte das nicht aendern,
selbst wenn ich es wollte." Aber Zeisls Innenwelt, seine Musik, hat ihn
gestuetzt, und half ihm die grosse Traurigkeit seines Abgeschnittenseins
zu ueberwinden, wie Alma Mahler gespuert und ueber seinen Tod uns in ein
Telegram geschrieben hat: "I felt his great talent but also his deep disappointment
about his life, which did not bring him the success due to his significance."
(Ich habe seinen grossen Talent gespuert, aber auch seine tiefe Entaueschung
ueber sein Leben, das ihm nie den Erfolg gebuehr, die seine Bedeutung verdiente."
Mein Vater ist in der "alten Welt" grossgewachsen,
hier, in Wien, in einer Familie, die obwohl musikalisch, Zeisls Wunsch,
Musiker als Beruf auszuueben nicht nur mißbilligte, aber auch sein
Studium zu unterstutzen verweigerte. Zeisl aber, besessen mit Musik und
Komponieren, beharrte darin, und wurde letzen Endes mit 14 Jahren an der
Akademie akzeptiert. Seine ersten Lieder wurden mit 16 publiziert, und
die folgenden Jahren waren eine auesserst fruchtbare Zeit der Liedkomposition,
im wesentlchen so eng mit seiner Gefuelswelt in Wien verbunden, mit der
oesterreichischen Landschaft, die er so innig liebte, insbesondere die
Begegnung mit meiner Mutter, die er dann im Alter von dreissig Jahren,
in 1935, drei Jahre vor dem Anschluss heiratete. Es ist nicht erstaunlich,
und vielleicht auch nicht ohne Bedeutung, dass mit der traumatischen Caesura,
seine heimatliche Erde auf immer verlassen zu muessen, Zeisl nie wieder
ein Lied komponierte.
Zum Glueck haben meine Eltern nach Paris fluechten
koennen, wo sie ein Jahr verbrachten, bevor sie sich nach Amerika einschiffen
mussten. Die Erlaubnis laenger in Paris zu bleiben wurde Zeisl durch seinen
neuen Freund ermittelt, der uns dann spaeter oefters in Los Angeles besuchte,
mit seinen kohlschwarzen Haaren und sein blasses, fast weisses Gesicht,
und korpulenten Torso, Darius Milhaud.
Ich kam wenige Monate nach Ankunft meiner Eltern
in New York auf die Welt, Mai 1940, ein Tag vor dem 35sten Geburtstag meines
Vaters. Nach Zeitungsausschnitten aus dieser Zeit, ist es klar, dass Zeisl
als Komponist erfolgreich war, seine Orchesterwerke wurden oefters im Radio
waehrend dieser Anfangszeit des Uebergangs aufgefuehrt. Und was fuer ein
Uebergang muss es auch gewesen sein: Anstatt auf der Wiener Moelkerbastei
gegenueber dem Beethovenhaus zu wohnen, *** (seine Freunde haben immer
gewitzt: "In hundert Jahren werden alle sagen: ja, visavis vom ZEISL
HAUS hat ja auch der Beethoven einmal gewohnt. Also Anstatt auf der
Wiener Moelkerbastei gegenueber dem Beethovenhaus zu wohnen, anstatt
dass ein Vogel wie in einem seiner Lieder "vor meinem Fenster" zwitscherte,
schlossen sie ihr neues Kind in relativer Armut in einer New Yorker Mietswohnung
in die Arme, ohne Heizung, ohne Gruenzeug, mit Fenstern, die auf die trostlos
und endlosen Daecher oeffneten.
In der New Yorker Zeit, lernte mein Vater den Komponist
Hanns Eisler kennen, der es schaffte, dass Zeisl einen Vertrag bei MGM
erhalten durfte, und deshalb, in 1942, zogen wir nach Hollywood und die
eigentliche Zeit meiner ersten Erinnerungen von meinem Vater, von seinem
Komponieren am Klavier und unserer engen Beziehung, die leider nur 18 Jahre
dauerte!
Ich erinnere mich, dass ich des oefteren mit meinem
Vater rings um die Nachbarschaft spazieren ging, und ich auf die Palmen
sprang, die er sich nie zu schaetzen bringen konnte. Ich war ein Wildfang,
der hupfen und klettern liebte, und mein Vater half mir dann in den meisten
faellen sanft und liebevoll wieder herunter. Einmal, allerdings,
erinnere ich mich, dass er nicht voller Begeisterung meines Kletterns war,
ganz im Gegenteil, ein strenger Verweis dagegen wurde mir erteilt. Ein
Werk meines Vaters stand auf dem gleichen Program als eins von Strawinsky,
den mein Vater sehr bewunderte. Ich wurde in die Probe mitgenommen, und
als ich den Strawinsky auf einem riesigen hohen Kisten sitzend beobachtete,
mit seinen Fuessen herunter haengend, in Strumpfhosen und Balletschuhen,
was mir etwas komisch erschien und auch sehr verlockend, war ich faziniert,
und ich hupfte hinauf, um mich neben ihn zu stellen, und ich began, meine
Fuesse neben die seinen hin und her zu schwingen. Ich erinnere mich, dass
mein Vater mich sofort herunterriss, mich vorwurfsvoll fragend: "Weisst
Du nicht, wer das ist, den Du hier stoerst, dich bewegend, neben ihm hin
und her hupfend? "War es nicht ganz klar," erinnere ich mich gedacht zu
haben, und antwortete eher keck," Ja, natuerlich, Igor Strawinsky!" Mein
Vater schien eine Weile boese mit mir zu sein, und sah mich fuer wahrscheinlich
das einzige mal in meinem Leben streng an, aber Strawinsky erloeste mich,
indem er mich wieder hinauf zog, mir versichernd, dass es voellig in Ordnung
mit ihm sei, meine Fuesse neben die seinen zu pendeln.
In diesen Jahren war mein Vater ein "Hausvater,"
stay at home dad, komponierte Szenen von Filmen wie Lassie come home, Journey
for Margaret, auch kleine Szenen aus Filmen mit Filmstars Spencer Tracy,
Joan Crawford und Robert Taylor, die er natuerlich als drone nie kennenlernte,
und etwa 50 oder mehr Kurzfilm Fitzpatrick Travel Talks, waehrend meine
Mutter den Haushalt betreute, ihn mit dem Auto ins Studio oder zu Terminen
begleitete, und wurde auch spaeter Lehrerin, anstatt ihr Beruf als Advokatin
weiterzufuehren, da das anerikanisches System sich nicht auf roemisches
sondern englisches Recht basierte.
Ich erinnere mich auch von meiner "musikalischen
Erziehung," das keine formale war, - d.h. mein Vater hat mich nie gelerht,
ein Instrument zu spielen, aber eine Einleitung in die musikalische Literatur,
die ich voellig fuer selbstverstaendlich hielt, aber die mir heute zum
Staunen bringt ? Nicht nur hat Zeisl jedes Lied, das ich aus der Schule
mitbrachte mir auf dem Klavier sofort vorgespielt, aber es war mir immer,
als ob es mit grossem Orchester gespielt wurde, mit vollem Orchesterklang.
Oefters, wenn ich ein bestimmtes beliebtes PopLied besonders gern hatte,
spielte mein Vater sofort das klassische Model, mir zeigend, woher das
Lied eigentlich stamme, oder von wem es eigentlich "gestohlen wurde."
Wichtiger noch, ich war bevorzugt ganze Ouverturen und Szenen aus Opern
auf dem Klavier erst vorgespielt zu hoeren, und dann am selben Abend auf
dem Radio, wo er hauefig davor sass, die Partitur in der Hand, verschiedene
Auffuehrungen und Musikprogramme lauschend, am meisten von der Gas Company
ausgestrahlt. Mein Vater machte sich immer ueber meine Mutter lustig, dass,
seitdem er verheiratet war, er nie wieder rechtzeitig eine Oueverture habe
hoeren koennen, weil meine Mutter dauernd verspaetet war. So spielte er
saemmtliche Opern zu Hause durch, fuer mich, aber wirklich fuer sich, waerend
meine Mutter sich anzog. Ich verdanke meine Liebe zu Oper diesen intimen
"Privatauffuehrungen," durch saemmtliche Oper Wagners, Strauss' und Verdi.
Spaeter, als ich ein Teenager wurde, war diese Einstellung
zur klassischen Musik, und die europaeische Art meiner Eltern mir peinlich,
denn meine jungen heranreifenden Kameraden hatten nur Popmusik gern, und
nicht die "echte" Musik, wie mein Vater sie bestimmte. So kann man sich
vorstellen, wie es meinem Vater weh getan haben muss, als ich, anstatt
begeistert darueber zu sein, dass zu meinem 12ten Geburtstagsparty (1952)
wir in die Weltpremiere seiner Kammeroper "Leonce und Lena" fahren wuerden,
ich mich dagegen wehrte und mich geschaemt habe. Anstatt Hamburger gab
es hausgemachten Gulasch, den die meisten schlimmen Buben sich gegenseitig
hin und her ueber den Tisch geschmissen haben, den selben langen
Tisch, wo bei anderen Gelegenheiten die Korngolds, Tochs und Gimpels, die
Tansmans und die Soulima Stravinskys, die Piattigorskys, die Kurt Herbert
Adlers, Schriftsteller wie Feuchtwanger, Gina Kaus, Hans Kafka, und als
sie in die USA zu Besuch reisten, Hilde Spiel und Peter de Mendelssohn,
auch Freunde Reitlers and Altmanns, Schauspieler Felix Bressart, Paul und
Lisl Henreid and Filmagent Ingo and Kaethe Preminger sassen, die oefters
zusammen kamen um zu lachen, an witzige Konversation teilzunehmen, und
um das gute wienerische Essen zu geniessen.
Wie verschieden war die Kultur meiner Eltern und die Atmosphaere meines
zu Hauses im Vergleich zu denen meiner Schulkameraden! Ich war dieser
scharfen Unterschiede sehr bewusst, nicht nur der Sprache oder der alten,
muffigen und abgesackten Biedermeiermoebel wegen, aber weil mein Vater
Komponist war, ein Wort oder ein Beruf, den keiner von ihnen verstand.
Ein wichtiger Zusammenhang mit diesem "anders sein"
ist eine Episode, wo ich mich als sehr kleines Kind intensiv mit diesen
zwiespaeltigen Gefuehlen beschaeftigte. Ich erinnere mich, dass wir einen
Ausflug machten, wo wir Maultiere und Pferde zusammen auf einer "Wiese"
grasend beobachteten. Mein Vater versuchte mir, den Unterschied zwischen
Maultier und Pferd zu erklaeren, indem er sagte, dass ein Fohlen ein "Kind"
von zwei Pferden sei, waehrend ein Maultier das Produkt von einem Pferd
und einem Esel sei, das nie Kleine haben koennte. Ich erinnere mich, dass
ich lange darueber gedacht hatte, etwas verwirrt und bedrueckt, und
dass ich nach laengerer Zeit des Ueberlegens etwas besorgt meinen Vater
fragte: "Also bedeutet dies, dass wenn ein Europaer einen Amerikaner
heiratet, sie keine Kleinen bekommen koennen?" Die Idee der Moeglichkeit,
dass zwei so verschiedene Kulturen so fremd einander waeren, um gegenseitig
sich einander auszuschliessen, und dass diese Mischung in eine Sackgasse
fuehren koennte, beunruhigte mich sehr, und waehrend ich aufwuchs, machte
mich des oefteren unbehaglich und auch manchmal unempfaenglich fuer das
wunderbare Vermaechtnis, das man mir ohne es wirklich zu verstehen, ueberlieferte.
Ich weiss jetzt, dass dies eine infantile Reaktion
zum Anderssein war, und heute wuenschte ich mehr als alles andere, dass
mein Vater wuesste, wie dankbar ich jetzt fuer alles bin, was ich von ihm
und meine Mutter bekam: die Begeisterung fuer oesterreichische Kultur und
Land. Heute aber moechte ich betonen, wie dankbar ich Wien gegenueber bin,
insbesonderem dem Juedischen Museum Wien fuer diese wunderbare und fuer
mich so tief emotionelle, Ausstellung, die das Leben von meinem Vater,
von dem "Zeiserl" erhellt, einem lieblichen, kleinen aber trotzdem wertvollen
Singvogel, der viel Schoenes zu singen hatte, der aber durch Weltverhaeltnisse
gezwungen war, seine besungene und tiefgeliebte Heimat auf ewig zu verlassen.
Zeisl war kein Riese, kein Grosser. Aber Oesterreich war nicht nur wie
die Nationalhymne es betont "Heimat … grosser Soehne," Sie ist es auch
kleinere, wie Peter Altenberg von sich gegenueber den grossen Dichtern
Ibsen und Strindberg schrieb, Worte die fuer meinen Vater, fuer die Bedeutung
von seinem Namen (Zeisl also Singvogel)) und fuer seine Musik besonders
treffend sind: “Nicht alle Vögel sind Lämmergeier, Seeadler und
erheben sich 12,000 Fuß in die Lüfte ... Es gibt auch wertvolle
entzückende kleine Vöglein ... sie erheben sich nie 12,000 Fuß
über die Erde ... Aber sie huschen unbeschreiblich anmutig über
die Erde hin, durch Wiesengräser und Gebüsche.” *
Ein Lied von meinem Vater heisst "Vergissmeinnicht.
Es singt von kleinen Blumen, die man im Fichtenwald pflueckt. Dieses Lied
repraesentiert aber auch die Gefuehle meines Vaters visàvis Oesterreich.
Und diese Ausstellung, die ihm solche Ehre gebuehrt, zeigt, dass man Wiens
verlorenen Sohn, wie Hilde Spiel ihn einmal bezeichnete, DOCH nicht vergessen
hat!
*Hilde Spiel, In Meinem Garten Schlendernd (münchen: Nymphenberger, 1982),p. 77-78
*Peter Altenberg, Bilderbogen des kleinen Lebens
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